Offener Brief / Leserbrief
zum Kommentar „Weniger wäre mehr gewesen“ und zum Artikel „Bürgerforum bringt Rat gegen sich auf“
von Thomas Tschörner in der Leine-Zeitung vom 27.02.2016


Sehr geehrter Herr Tschörner,

am 27. Februar 2016 haben Sie in der Leine-Zeitung über die Sitzung des Rates der Stadt Seelze vom 25. 02. 16 berichtet und unter der Überschrift „Weniger wäre mehr gewesen“ einen Kommentar geschrieben.

Ich könnte es mir leicht machen und meine Antwort mit dem englischen „so what?“ abtun.

Doch vielleicht hätten Sie einen anderen Bericht und Kommentar geschrieben, wenn Sie gewusst hätten, dass in der HAZ vom selben Tag, dem 27. Februar 2016,

  • Hendrik Brandt unter der Überschrift seine Kolumne auf Seite 1 „Wem hilft die Angst“ mit der Schlussfolgerung beschließt:

    „ Kein Wunder, dass da die Angst in Gestalt der AfD immer weiter wächst. Wer sie auf diesem Feld (s. o.) bekämpfen will, braucht mehr Klarheit, Festigkeit und Mut zum wirklichen Sachstreit. Die Demokratie hält das aus - und sie ist es wert.“

    Micha Brumlik, der am 6. März in Hannover mit der Buber-Rosenzweig-Medaille geehrt wird, in einem Interview mit Michael M. Berger unter der Überschrift „Man muss hart mit denen diskutieren“ über die neue Rechte … auf die Frage geantwortet hat:

  • „Was kann man an Aufklärung tun?“

    „Man muss ganz hart mit denen diskutieren, die Schlagwörter wie „Lügenpresse“ in die Welt setzen. Man muss mit Ihnen diskutieren: Was heißt eigentlich Volk? Und ist es richtig, wenn die gewählten demokratischen Institutionen oder auch die Medien verteufelt werden? Damit muss man sich mit jenen, die solche Meinungen hegen hart in der Öffentlichkeit auseinandersetzen.

    Ich empfehle Ihnen beide HAZ-Artikel zur Lektüre!


    Sehr geehrter Herr Tschörner,

    Ist es nur Naivität oder politische Blauäugigkeit, die Sie zu Ihrem Kommentar vom 27. Februar in der Leine-Zeitung veranlasst hat? Oder ist es den Rechtskonservativen bereits gelungen, mit ihren Parolen von der „Lügenpresse“ erste Journalisten in die Defensive zu drängen?

    „Abgestimmt, abgelehnt, gelassen bleiben und fertigt.“ So sollte der Rat der Stadt Seelze mit einem zwar sinnlosen, überflüssigen – aber in Text und Inhalt gefährlichen Antrag des sogenannten Bürger Forums umgehen. Eine „coole Haltung“ im Umgang mit den Rechtskonservativen sei die richtige Form der Auseinandersetzung, meinen Sie.

    Es kann doch nicht wahr sein, Herr Tschörner, dass Ihnen die wilden Attacken auf den Rechtsstaat, die verqueren Auslegungen unseres Grundgesetzes oder der rüde Vorwurf, die Regierenden seien für bevorstehende Katastrophen in Deutschland und in unserer Stadt Seelze verantwortlich, entgangen sind. Glauben Sie wirklich, dass man dieses Denken und Handeln (siehe Sachsen) einfach wegschweigen kann?

    Was ist das für ein Verständnis von gesellschaftlichem Engagement? – Erwarten Sie von gewählten Demokraten tatsächlich, dass sie „cool“ und „gelassen“ die Ohren zuhalten, die Augen verschließen und den Mund halten, wenn Rechtspopulisten eine Stadt auffordern, einen Aufnahmestopp für “sogenannte“ Flüchtlinge zu beschließen?

    Wenn Sie, Herr Tschörner, wirklich glauben, es bestehe kein Zusammenhang zwischen Fluchtursachen wie Bürgerkrieg, Not, Elend oder Perspektivlosigkeit und den dramatischen Flüchtlingsbildern, die wir täglich erleben, dann kann man - wie Sie - die Wirklichkeit ausblenden. Aber „ablehnen“ und „fertig“ ist keine Lösung. So können sie zwar einen Text aus der Welt schaffen. Nicht aber die menschenverachtenden Überzeugungen, die darin zum Ausdruck kommen.

    Spätestens als die BF-Mitglieder Th. Schroer und H. Scupin in der Ratsdebatte die wahren Motive ihres Antrages offen ausgesprochen haben, hätten auch Sie sich als Redakteur Notizen für einen angemessenen Kommentar machen müssen. Sie saßen keine zwei Meter entfernt, als BF-Mitglied Schroer mir zurief: „Die (Nordafrikaner) vermehren sich wie die Tiere“ und irgendwann kämen die alle zu uns! Das war nur eine der unglaublichen Entgleisungen!

    Erinnert habe ich mich an das Bild von den drei Affen, die - Augen, Ohren und Mund fest verschlos-sen - die Wirklichkeit verdrängend, beim Lesen Ihres Kommentars und weil Sie mich und den ganzen Rat aufgefordert haben, nach der Devise „gelassen bleiben und fertig“ zu verfahren.

    Vielleicht macht es den kleinen aber feinen Unterschied aus: Ihre Kollegen aus dem Hauptteil ihrer Zeitung haben jedenfalls erkannt, welche Bedrohung für die Pressefreiheit von Begriffen wie „Lügenpresse“ oder Formulierungen wie die Rechte solle „um jeden Preis mundtot“ gemacht werden (Originalformulierung aus BF-Flugblatt) ausgehen kann. Ich werde mich jedenfalls um der Pressefreiheit willen Unterstellungen wie angeblichen Medienmissbrauch und Internetzensur auch künftig im Rat weiter entgegenstellen


    Herr Tschörner,

    wollten Sie oder konnten Sie keinen Kommentar zu den perfiden Äußerungen des BF schreiben?

    Wegducken und Schweigen schafft den Rechtspopulisten jedoch unwidersprochen den Raum, den die sich wünschen. Das kann und darf nicht sein.

    Seelze hat bereits einmal mit der Aktion „Gesicht zeigen“ eindrucksvoll bewiesen, dass es in dieser Stadt keinen Platz für ausländerfeindliche und rechtspopulistische Aktivitäten geben darf. Zivilcourage ist gefragt. Respekt und Dank gebührt deshalb denen, die sich offen und aktiv dafür engagieren, dass wir in Verantwortung für die Menschen in unserer Stadt friedlich und solidarisch zusammenarbeiten.

    Wie haben es Hendrik Brandt und Micha Brumlik in der HAZ sinngemäß ausgedrückt? –

    Hart mit den Rechten in der Öffentlichkeit umgehen. – Die Demokratie hält das aus – und ist es wert!

    Mit freundlichen Grüßen

    Heinrich Aller

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