Gedanken des Fraktionsvorsitzenden im Rat der Stadt zum: Volkstrauertag 2024

Ein kurzer, erfolgreicher Waffengang wie 1870/1871 im deutschfranzösischen Krieg mit anschließender Rückkehr zur friedlichen Normalität, das war die Erwartungshaltung des überwiegenden Teils der deutschen Bevölkerung in den ersten Augusttagen des Jahres 1914.
Doch es kam anders. Es begann ein vierjähriges blutiges Massensterben mit Millionen Toten.
Kurz: es wurde die „Urkatastrophe des 20 Jahrhunderts“, wie sie der amerikanische Historiker George Kennan bezeichnet hat.
Wir gedenken heute, 110 Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges und 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft.
Wir erinnern an die Soldaten, die zivile Kriegsopfer von Massakern und Genoziden. Wir denken an die Toten der Diktatoren. An die persönlichen Schicksale in abstrakten Kämpfen um Staatsinteressen, in Glaubenskriegen, in Schlachten politischer Ideologien. Gerade die Sinnlosigkeiten dieser blutigen Konflikte macht uns auch heute noch nahezu sprachlos vor Betroffenheit.
Es handelt sich also beim Volkstrauertag nicht um ein verstaubtes Ritual aus einer fernen Vergangenheit, sondern es geht um mehr, als nur um eine langweilig gewordene Tradition.
Wir gedenken nicht nur jener Menschen, die unter den Deutschen während der finsteren Abschnitte unserer eigenen Geschichte gelitten haben, sondern auch all jener, die bis heute unter bewaffneten Auseinandersetzungen, Terror und Folter leiden und an deren Folgen sterben. Dieses Gedenken ist eine menschliche Verpflichtung, keine bloße Erinnerungsveranstaltung im Sinne einer Art Familientreffen von und für vergangenheitsorientierte alte Menschen.
Vergessen wir aber auch niemals beim Gedenken der Verstorbenen. Es sind nicht irgendwelche anonymen Mächte und Strukturen. Es ist immer der Mensch, der den Menschen bedroht.
Deshalb ist dieses Gedenken und Mahnen umso wichtiger, wenn wir uns vor Augen halten, wie sich uns die Welt, ein Jahrhundert nach den ersten Schüssen des Ersten Weltkrieges – heute darstellt:
Kriege in der Ukraine, im Nahen Osten, Spannungen und Kriegshandlungen zwischen Israel und Iran, die Mauer zu Mexiko in den USA, Kriegsgetöse zwischen China und Taiwan, Terroranschläge auf der ganzen Welt befeuern den Populismus, den Nationalismus, die Angst, die Abschottung und Nationalismus.
Uns muss allen bewusst sein, dass sich die Risiken eines „geopolitischen Unfalls“ in 2024 deutlich erhöht haben.
Daher müssen wir dankbar sein, dass weitere Kriege verhindert wurden und Menschen sich auf der ganzen Welt für den Frieden einsetzen.
Wenn wir uns diese Situation so abstrakt betrachten, kommt man sich klein und unbedeutend vor und wir stellen uns die Frage, was hat das mit uns zu tun? Unsere Kriege liegen nun schon fast 80 zig Jahre zurück und die genannten Kriegsauseinandersetzungen finden doch weit weg von uns statt!
Aber was ist mit den alltäglichen Kleinkriegen in unserem Leben, in unserer Familie, an unseren Arbeitsplätzen, in den Schulklassen, Hochschulen, in der Ausbildung, vor unserer Haustür, wo es immer wieder Täter und Opfer gibt, wo massiver Druck ausgeteilt bzw. ausgehalten werden muss?
Welche Rolle spielen wir dabei?
Wer sich also mit Krieg und Frieden beschäftigt, der sollte vielleicht zuerst einmal in sein eigenes Herz schauen und prüfen welchen Anteil jeder dabei selber hat?
Bin ich mit meinem Leben zufrieden oder mache ich andere für mein Leben verantwortlich? Sind wir bereit, die Schwächen und Fehler der anderen zu akzeptieren?
Wir können Frieden nur bewahren, wenn wir es schaffen Toleranz und Vergebung gegenüber unseren Mitmenschen in unser Leben zu lassen und unsere Handlung danach auszurichten!
Vier Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit haben in Deutschland gezeigt, dass wir es schaffen können ohne kriegerische Auseinandersetzung für Frieden und Stabilität zu sorgen:
- Die Montagsdemo
- Die Ausreise von 4.000 Flüchtlinge aus der Botschaft in Prag
- Der Fall der Mauer
- Die Aufnahme von Flüchtende 2016
Ich wünsche uns allen, dass wir die gesellschaftliche Courage besitzen uns ausschließlich auf friedliche Auseinandersetzung zu konzentrieren und sie zum Mittelpunkt unseres Handels gegenüber unseren Mitmenschen zu machen!
Umso mehr wir uns von unserem Herzen leiten lassen, desto weniger müssen wir uns festhalten am Sichtbaren, Materiellen, am Hab und Gut, Aus und Ansehen. Umso freier und gelassener können wir leben und zusammenhalten.
Unsere eigene Zufriedenheit, tägliche Dankbarkeit, Freundschaften, Nachbarschaften und kleinere und größere Gemeinschaften zu pflegen, zu intensivieren, bereit zu sein andere Kulturen mit Wertschätzung und Toleranz zu begegnen ist die beste Ausrüstung und der beste Weg Frieden in unserem Umfeld zu bewahren und zu fördern.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit
Johannes Seifert
SPD Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Seelze